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Bei der Rettung des jungen Wisentbullen Ikarus, handelt es sich um die Geschichte, die uns als Wisentgehege 2022 in Atem gehalten hat. Eine Geschichte, die uns und all jene Helfern und Helferinnen, die daran beteiligt waren, noch heute sehr berührt. Wir wollen euch gern daran teilhaben lassen.
Am 20. Oktober kommt der zweijährige Ikarus in Springe an, um als Nachfolger des Zuchtbullen Eggeherrscher zukünftig für Nachwuchs zu sorgen. Doch die Vorfreude auf den neuen Gehege-Bewohner weicht schnell der Sorge um das Tier, da Ikarus schon während des Transportes auffällig still wirkt. Ein Tierarzt wird zum Entladen hinzugezogen.
Da zu diesem Zeitpunkt noch keine amtlichen Blutergebnisse vorliegen, wird Ikarus – von seinen Artgenossen separiert – vorerst im Wisentstall an der Köhlerhütte untergebracht. Die Isolation dient dem Schutz vor etwaigen ansteckenden Infektionskrankheiten.
Bei unserem Neuankömmling Ikarus führen die Narkose zur Verladung und der Transport zu schwerwiegenden Komplikationen. Der Gesundheitszustand des jungen Bullen verschlechtert sich in den nächsten 48 Stunden dramatisch. Ikarus kann seine Hinterbeine nicht mehr bewegen und infolgedessen nicht mehr aufstehen, er bekommt Fieber, seine Nierenwerte verschlechtern sich zusehends und er liegt kraftlos und von Atembeschwerden geplagt in Seitenlage. Die Frage, ob ein Behandlungsversuch überhaupt medizinisch sinnvoll ist, steht mehrfach im Raum, denn…
Thomas Hennig, Leitung Wisentgehege
In den folgenden acht Wochen wird Ikarus von früh bis spät von unserem Team begleitet, aus dem Eimer getränkt und aus der Hand gefüttert. Viele Mitarbeitende kommen selbst an ihren freien Wochenenden für die Wisent-Physio ins Gehege.
Um unser Sorgenkind im wahrsten Sinne wieder auf die Beine zu bringen, wird der Wisent täglich mithilfe eines Frontladers in einem Tragenetz angehoben. Teil der „Wisent-Physio“ ist der Versuch die Läufe des massiven Bullen wieder zu mobilisieren. Dazu versuchen unsere Tierpfleger/-innen die anfangs bewegungsunfähigen Hinterbeine mit Stricken manuell zu bewegen.
Auch Massagen und Medikamente stehen auf dem Therapieplan. Kleine Fortschritte gehen häufig mit Ernüchterung einher, da Muskelkater und Erschöpfung den Wisent-Patienten in die Knie zwingen. Ganze zwei Wochen dauerte es, bis Ikarus das erste Mal für wenige Sekunden sein eigenes Körpergewicht tragen kann. Es werden noch weitere Wochen ins Land gehen, bis er das erste Mal selbstständig aufsteht.
„Ein Meilenstein. Jetzt kann Ikarus seine Physiotherapie eigenständig gestalten“ – Tierpfleger
Aus Sicherheitsgründen ist ein direkter Umgang mit Ikarus für seine Pfleger und Pflegerinnen nun nicht mehr möglich. Zunächst bekommt der genesende Wisent die Möglichkeit, einen Teil der umzäunten Betonplatte als Auslauf zu benutzen. Um das Verletzungsrisiko für ihn zu reduzieren, wird der Beton mit einer dicken Schicht Rindenmulch „gepolstert“. Ikarus‘ Fortschritte in den folgenden Wochen sind der beste Lohn für all jene, die diese acht Wochen unterstützt, begleitet und mit dem jungen Wisent mitgefiebert haben. Mitte Dezember 2022 zieht Ikarus endlich in die Bullengruppe um.
Neben dem unermüdlichen Einsatz aller Beteiligten verdanken wir den Erfolg vor allem der langwierig aufgebauten Infrastruktur, die wir im Gehege geschaffen haben.
Ikarus‘ Geschichte zeigt das Potenzial und die Notwendigkeit des Wisentstalles auf, dessen Bau 2017 durch den Förderverein mit 170.000 € finanziert wurde. Eine derart aufwendige Behandlung kann nur stattfinden, wenn die Unterbringung eines solchen Patienten, der Zugriff auf entsprechende Ausrüstung und nicht zuletzt die gesteigerte Arbeitssicherheit der Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen gewährleistet werden können.
Der Wisentstall ist mehr als eine trockene, sichere Stallbox, in der zu jeder Tages- und Nachtzeit Beleuchtung und Strom, ein Wasseranschuss, ein Vorratsraum zur Lagerung seiner speziellen Futtermittel und Medikamente gegeben sind.
Der Wisentstall ist für Ikarus die Wiege zu einem hoffentlich langen, neuen Lebensabschnitt im Wisentgehege Springe und für uns Ort der Hoffnung, dass wir dem Artensterben der bedrohten Riesen aktiv entgegenwirken können.
Bei jeder Narkose besteht ein Risiko. Eine Allgemeinanästhesie stellt in der Regel sicher, dass die Narkotisierten nichts von einem Eingriff mitbekommen. Bei Mensch und Tier wirken sich die körperliche Kondition, latente Erkrankungen und äußere Faktoren (Stress, hohe Temperaturen) auf die Narkose aus. Wie gut oder schlecht eine solche verträglich ist, hängt von der Gesamtdauer der Betäubung, der Schnelligkeit des Aufwachens und dem individuellen Verstoffwechseln der Narkosemittel ab. Setzt man beim Menschen meist eine Kombination von Medikamenten ein, die auf die individuellen Anforderungen der Patienten und Patientinnen abgestimmt ist, kommen bei Wildtieren diverse Faktoren hinzu, die das Risiko einer Narkose potenzieren:
• Bei Wildtieren ist meist kein genaues Gewicht bekannt, das notwendig wäre, um die Dosierung exakt zu berechnen.
• Je nachdem, welche Körperstelle mit dem Narkosepfeil mit welchem Druck getroffen wird, wirkt die Narkose schneller oder langsamer.